Seit meiner Jugend ist es mir ein Bedürfnis, dem Weihnachtsfest einen Sinn zu verleihen. Wohlgemerkt: zu verleihen! Denn im Besitz eines Sinns befand sich dieses Fest in meinen Augen schon vor 50 Jahren nicht mehr.
Einen dieser Versuche, der Degradierung des Festes zu einer Geschenkinstitution entgegen zu wirken, unternahm ich am Heiligabend des Jahres 1974. Das Wetter war, wie es in Köln an Heiligabend nun mal war. Knapp über Null, grau und regnerisch. Also stieg ich in meine äußerlich nassen, innen aber warmen, speckigen Lederstiefel und in meine von all den Fahrten mit meiner 50ccm-Vespa durch Matsch und Regen brettharte Kunstlederjacke und stülpte mir den Helm über. Und als ich dann die Aachener Straße in Richtung Clarenbach-Kirche entlang knatterte wurde mir klar, dass ich mich nun in das Zentrum derer begab, die ich verachtete. Dieses wohlhabende West-Kölner Bildungsbürgertum versammelte sich einmal in der Woche in Köln-Braunsfeld bei einem Modepfarrer, der es mit seinen eloquenten Predigten zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hatte. Hier kamen die zusammen, die es – in ihren Pelz oder Kamelhaarmantel gehüllt – einmal pro Woche verbal so richtig um die Ohren haben wollten. Danach ging es für sie mit einer Portion Reflexion unter dem Arm nach Hause an den Tisch, auf dem der Sonntagsbraten dampfte. Auf der anderen Seite ein in Maßen aufbegehrender Jugendlicher, der sich die Gischt, die von der Straße hochschleuderte, ins Gesicht schlagen ließ und sich äußerst nonkonformistisch dünkte. Wie kam ich nur darauf, gerade hier den Sinn des Weihnachtsfestes zu suchen? Vermutlich, weil ich den Pfarrer persönlich kannte.
An der schlichten Kirche aus den 60er Jahren angelangt, nahm ich mir ein Herz und öffnete die schwere, hohe Tür. Kaum war ich eingetreten, da bereute ich es auch schon. Da stand ich nun am Anfang des Ganges, der auf den Altar zuführte. Der Kirchsaal war bis zum letzten Platz gefüllt. Es tropfte von meinen Ärmeln und dem Schal, unter den Stiefeln entstand eine Pfütze. Als ich den Helm abzog, schlug mir mein strähniges Haar gegen die Stirn. Vor mir drehten sich die Herrschaften um, musterten mich kurz, um sich dann indigniert wieder umzudrehen. Kollektives Naserümpfen also.
In diesem Moment trat der Pfarrer ein. Er ging an mir vorbei, drehte sich dann aber um, lächelte mich vorbehaltlos an und schüttelte mir die Hand, bevor ich dazu gekommen war, sie von den Handschuhen zu befreien.
„Wie schön, dass Sie da sind!“
Kommentar schreiben