
Liebe Berliner, seid mir nicht böse! Aber Ihr seid im Provinzdeutschland durchaus verpönt für eine Haltung, die man unter der Überschrift: „In Berlin ist alles größer und besser.“, subsummieren kann. Ihr wisst das selbst. Allein, bei Eurer Ankündigung dessen, was den normal besaiteten Bürger fortgeschrittenen Alters zu Silvester in dieser Stadt erwartet, habt Ihr nicht übertrieben.
In meiner Dörflichkeit hatte ich schon abgewunken, als alle um mich herum vor dem Ausmaß der Silvesterknallerei warnten. So reagierte meine kluge und gewiss nicht ängstliche Partnerin verhalten auf meinen Vorschlag, am Silvesterabend doch einfach mal durch die Straßen zu ziehen und das Treiben auf sich wirken zu lassen. Spätestens als mein Junior, ein Hüne von über zwei Metern, der in seiner bewegten Jugend auch schon Türsteherqualitäten unter Beweis gestellt hatte, ankündigte, in seinem Heimatviertel Kreuzberg ab Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen zu wollen, hätte mich das aufhorchen lassen sollen.
Das alles aber schlug ich in den Wind, dachte mir nur: ‚Ach, Ihr Berliner – so krass wird das schon nicht werden.‘ Dann kam der Silvestertag. Dass der eine oder andere Böller schon etwas verfrüht der spontanen Selbstentzündung zum Opfer fiel, war selbst mir von Jaderberg oder Rastede her nicht fremd.
Der eine oder andere? Etwa gegen 17 Uhr hatte das Dauerfeuerwerk hier ungefähr das Level erreicht, dass in meinem Umfeld früherer Jahre dem Moment um etwa 00:15 Uhr entsprach. Fatal war die Feststellung, dass ich für den Abend lebensnotwendige Getränke im Kofferraum unseres Autos vergessen hatte. In meiner Vorstellung tauchten Bilder auf, die mir die Aktionen todesmutiger Revolverhelden der sattsam bekannten Hollywood-Western zeigten, die es in einer durchaus vergleichbaren Situation mit der Winchester in Hüfthöhe ballernd bis zum rettenden Heuschober geschafft haben. Nun, einer schusssicheren Weste bedurfte es nicht, um lebend in die Wohnung zurück zu kehren.
Was dann aber ab 00:00 Uhr in unserer kleinen Nebenstraße im gesitteten Tempelhof abging, ließ mir Dorfjungen die Kinnlade herunterklappen. Da habt Ihr Berliner aber mal so richtig geliefert! Ich hätte nicht gedacht, dass die gerade mal 3,8 Millionen Menschen der Stadt solch einen Betrieb machen können. Chapeau!
Einen kleinen Wehrmutstropen muss ich in meine Abbitte aber dennoch träufeln: Was da gleichzeitig vor dem Brandenburger Tor ungelenk und ungenügend bekleidet mit dünnem Stimmchen herumturnte, war einer Stadt wie Berlin nicht würdig und hatte bestenfalls und nur bei großem Wohlwollen die hinreichende Qualität, um an einem Wochentag in einer Disco auf Mallorca aufzutreten.
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